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Chico hatte kein Bindungsproblem

Chico hatte kein Bindungsproblem

Chico hatte kein Bindungsproblem

Wir waren uns sofort sympathisch. Nach einem ersten Telefongespräch trafen wir uns zu unserer ersten Trainingseinheit. Marion (Namen von Hund und Halterin geändert) erzählte mir von ihrem Problem, und ich konnte fühlen, wie es ihr gerade ging. In ihr war alles eng, sie fühlte sich verzweifelt und wusste nicht, wie sie das Problem beseitigen könnte. Ihr Hund Chico war so überhaupt nicht mit anderen Hunden verträglich, dass er wie wild in die Leine sprang, bellte und nicht ansprechbar war, bis der andere Hund wieder weit weg verschwunden war.

Marion hatte richtig Angst, dass Chico gebissen werden könnte aufgrund seines rauen Verhaltens. Dass er vielleicht selbst beißen würde, wenn er sich mal losreißen könnte. Es gab schon viele Situationen, in denen ihr andere Hundehalter „Tipps“ gegeben haben, die sie aber mehr verwirrt und verunsichert haben: „Der Hund hat keine Bindung zu Ihnen!“, „Sie müssen dem mal zeigen, wer der Chef ist!“, „Da stimmt einfach die Beziehung nicht zwischen euch!“, „Der Hund nimmt Sie ja überhaupt nicht ernst!“.

Chico hatte kein Bindungsproblem

All das führte zu einer unglaublich großen Unsicherheit. War sie eine schlechte Hundehalterin? Konnte sie nicht mal einen Hund richtig erziehen? Ist sie den Respekt ihres Hundes etwa nicht wert? Sie stellte sich selbst komplett in Frage, und hielt sich für unzulänglich.

Die Gassigänge machten Marion gar keinen Spaß mehr. Ihr Mann hatte kein Verständnis für ihre Situation, der hielt einfach den Hund fest und störte sich nicht groß an dem wilden Gebaren, sondern ging einfach weiter. Marion konnte und wollte das nicht. Und jetzt stand sie vor mir und hatte Angst, dass diese Trainingsstunde in einem großen Desaster enden würde, das sah ich ihr an.

Also erklärte ich ihr, wie wir trainieren würden.

Hundebegegnungen trainieren

Ich erklärte, dass sich ihr Hund selbst fürchtet, und dass wir ihm helfen wollen, sich wohler zu fühlen. Dass wir dafür zunächst ziemlich große Abstände einnehmen würden, was in der Gegend kein Problem war. Chico würde gar nicht bellen und in die Leine springen müssen, so wie wir trainieren. Und dass ich ihr zeigen würde, was sie alles tun kann, wenn ihr andere Mensch-Hund-Teams begegnen.

Ich sah, wie wieder Mut in ihr einkehrte. Ihre Schultern strafften sich, sie lächelte und sagte mir, ihr fiele ein Stein vom Herzen.

Weil ich mit Charly alle Gefühle selbst erlebt hatte, konnte ich sie so gut verstehen. Die Sicherheit, die ich ihr geben konnte, hat sie förmlich aufgesogen. Und das Tolle war: Diese Sicherheit ist immer stärker geworden, von Training zu Training.

Wir haben als erstes alles aufgebaut, was wir benötigten für unser Training. Ein Markerwort, das dem Hund punktgenau erklärt, welches Verhalten wir belohnen. Strategien, was man konkret tun kann bei einer Begegnung. Ein Entspannungswort, um eine zu hohe Erregung verringern zu können, so dass Chico wieder ansprechbar würde.

Sobald ein Hund zu sehen war, haben wir Chico gute Dinge zukommen lassen, Futter oder Spiel, stimmliches Lob. Chico konnte zum Hund hinschauen, und erfahren, dass nichts Schlimmes passiert dabei, denn die Entfernung war groß genug. Schnell konnten wir gutes Verhalten markieren und belohnen, und Chico fühlte sich sichtbar wohler in Anwesenheit anderer Hunde.

So konnten wir den Abstand immer weiter verringern, und bald durch den Ort gehen, wo auch viele Hunde ganz nah vorbeigehen. Chico hat es super gemeistert, weil Marion ihn perfekt unterstützt hat. Beide sind über ihren Schatten gesprungen, und haben es geschafft, ihre Ängste abzubauen, mit Hilfe vieler guter Erfahrungen und neuer Handlungsmöglichkeiten.

Warum nicht einfach „Bindung und Beziehung“?

Warum trainiere ich mit den Bezugspersonen und zeige ihnen, wie sie das Verhalten ihres Hundes über Training verändern können? Warum sage ich nicht, deine Bindung stimmt nicht, oder du musst an deiner Beziehung zum Hund arbeiten?

Erstens würde ich damit dem Menschen die Schuld geben. Damit ist aber niemandem geholfen.

Außerdem löst es nicht das Problem. Chico hatte kein Bindungsproblem. Er liebte Marion, das war ganz klar zu sehen. Er achtete sie auch. Chico hatte einfach ein Problem mit anderen Hunden. Das hatte mit der Beziehung oder Bindung nichts zu tun.

Sobald wir glauben, wir hätten ein Beziehungsproblem, kann es leicht passieren, dass wir an Dominanz glauben, und das Gefühl haben, unser Hund respektiert uns nicht. Es ist aber kein mangelnder Respekt uns gegenüber, dass unser Hund Angst hat vor anderen Hunden. Er fühlt sich nicht sicher genug, wir konnten ihm nicht zu Genüge erklären, dass er sich mit uns beschützt und geborgen fühlen kann.

„Der Hund soll merken, dass er was falsch macht!“

Die meisten Hundehalter versuchen, das unerwünschte Verhalten zu unterbinden, zu schimpfen, oder an der Leine zu rucken, wenn der Hund austickt. Sie sind wütend, dass er sich so verhält und wollen, dass der Hund merkt, dass er was falsch macht. Das macht die Sache noch schlimmer. Denn jetzt macht der Hund die Erfahrung, dass sein Mensch auch noch unberechenbar wird, wenn er andere Hunde sieht. Seine Unsicherheit nimmt zu.

Das verändert natürlich in gewisser Weise schon die Beziehung zwischen Mensch und Hund, ganz klar. Durch unsachgemäßes Training oder vermeintlich nötige Erziehungsmaßnahmen mit Gewalt wird beides gestört, die Bindung und die Beziehung. Durch unser positives Training wird die Beziehung und Bindung zu unserem Hund gestärkt, keine Frage. Das ist sozusagen der Nebeneffekt von gutem Training.

Aber das Problem oberflächlich als Beziehungs-oder Bindungsproblem zu deklarieren ist grundlegend falsch und führt nicht zu den gewollten Ergebnissen. Viele Halter fühlen sich dadurch sogar unzulänglich, und zweifeln noch mehr an sich und ihren Fähigkeiten als so schon. Genau wie dem Hund geholfen werden muss, sich mit dem Reiz wohler zu fühlen, muss auch der Mensch die Möglichkeit bekommen, sich durch das Training sicherer zu fühlen und an sich selbst zu glauben.

Was ist Bindung?

Um überhaupt über Bindung und Beziehung zu sprechen oder zu schreiben bedarf es einer Definition. Was meinen wir überhaupt mit Bindung und was mit Beziehung? Bindung entsteht in einer Beziehung.

Wir haben durch unser Zusammenleben eine Beziehung zu unserem Hund, und können eine Bindung aufbauen. John Bowlby hat als einer der ersten die die Mutter-Kind-Bindung entdeckt. Bindung definiert er so:“Bindung ist das gefühlsgetragene Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das sie über Raum und Zeit miteinander verbindet.“

Bindung hat also mit Gefühlen zu tun, die eine Verbindung zwischen zwei Individuen hervorrufen. Es gibt ein biologisches Grundbedürfnis nach Bindung. Kleinkinder entwickeln im ersten Lebensjahr zu den wichtigsten Bezugspersonen eine Bindungsbeziehung.

Je nach dem, wie sicher die Erfahrungen in dieser Beziehung sind, kann die Bindung stabil sein oder unsicher. Ich gehe in diesem Rahmen nicht weiter darauf ein, du kannst aber einiges darüber im Internet finden.

Da Hunde ein ähnlich strukturiertes Gehirn haben wie wir Menschen, können wir vermutlich das Wissen über die Mutter-Kind-Bindung recht gut auf die Hund-Mensch-Bindung übertragen.

Welche Funktion hat Bindung?

Bindung ist eine wichtige Quelle psychischer Sicherheit. Als Bindungspartner geben wir dem Hund die sichere Basis für die Erkundung der Umwelt und sind der sichere Hafen bei Belastung. Das Bindungssystem wird vor allem in Situationen von Verunsicherung und Angst aktiviert. Die körperliche Nähe der Bezugsperson stellt dann die innere Sicherheit wieder her, und das System der Umwelterkundung wird wieder aktiviert.

Verunsicherung kann entstehen durch Trennung, unvertraute Situationen und körperliche sowie emotionale Überforderung. Die sichere Bindung zu der Bezugsperson stellt dann das innere Gleichgewicht wieder her, und der Hund hat wieder Mut, die Umwelt zu erkunden.

Wie entsteht Bindung?

Eine gute Bindung entsteht also offensichtlich aus Fürsorge und emotionalem Verständnis. Genau wie Eltern von Kleinkindern erkennen müssen, dass das schreiende Kind sie nicht absichtlich ärgern will, sondern ein wie auch immer geartetes Problem hat, so müssen wir Hundehalter ebenfalls wissen, dass Hunde sich wie Hunde verhalten, und sie uns auch nicht mit ihrem Verhalten ärgern wollen.

Füttern fördert sehr wohl die Bindung, auch wenn es öfter anders dargestellt wird in der Hundeszene. Man schaue nur einer stillenden Mutter zu. Auch das Geben des Fläschchens fördert die Bindung. Füttern macht nicht nur den Gefütterten zufrieden, sondern auch den Fütternden glücklich. Bindung ist keine Einbahnstraße, sondern entsteht durch gegenseitige Interaktion, geben und nehmen. Das Befriedigen von Bedürfnissen gehört unmittelbar dazu. Auch das Bedürfnis nach artgerechter Beschäftigung und typischen Hundeverhalten wie das Schnüffeln sollte gestillt werden.

Bindung wächst dort, wo Vertrauen herrscht. Sie wird stabil, wenn Verständnis gefunden wird. Eine gute Bindung ist das Zeichen von einem Gefühl der Sicherheit.

Was stört die Bindung?

Die Bindung wird gestört durch unvorhersehbare Handlungen, erschreckendes Verhalten, oder durch die Bezugsperson verursachte Schmerzen. Außerdem wird sie gestört durch Unverständnis, Respektlosigkeit und Hierarchiedenken.

Sie wird gestört, wenn der Hund bei dir Sicherheit sucht, und du ihn weiterschickst mit den Worten:“Geh schön spielen!“ Bindung wird gestört, wenn du unvorhersehbar zu einem Risiko wirst, indem du plötzlich an der Leine ruckst, ins Ohr zwickst oder sonstige Strafen anwendest.

Auch mangelndes Vertrauen stört die Bindung. Wer seinem Hund nichts zutraut, und ihn nie aus seiner Nähe weglässt, tut ihm nichts Gutes damit.

Was musst du tun für eine gute Bindung?

Im positiven Hundetraining kündigen wir gerne unsere Handlungen an, damit der Hund eine möglichst große Vorhersagekraft hat, was als nächstes passiert. Blickkontakt zwischen Hund und Mensch ist erwünscht, und wird verstärkt. Die Gefühle des Hundes fangen wir auf, wenn sie für den Hund eine Belastung darstellen, oder wir gehen freudig drauf ein, wie zum Beispiel bei einem Hund, der eine freundliche Spielaufforderung macht.

So entsteht Kommunikation. Seinen Hund richtig lesen lernen, ist die Voraussetzung für unsere Reaktion. Unser Wissen über das Lernen bei Hunden, unser Verständnis von Hunden vor dem Hintergrund der biologischen Vorgänge und Voraussetzungen helfen uns, angemessen (wirklich angemessen!) zu reagieren. Angemessen reagieren bedeutet nicht, möglichst hart strafen. Das ist nicht angemessen.

Wissen schützt vor Gewalt

Wer selbst nur aus dem Affekt heraus interagiert, und seinen Hund nur über die „Korrektur“ von unerwünschtem Verhalten erzieht, wird keine sichere und gute Bindung erhalten. Sobald du aber eintauchst in die Welt der Hunde, und deinen Hund so richtig verstehen lernst, bemerkst du auch, wie wenig gut dir dein Verhalten selbst tut.

Anstatt immer den Fokus auf dem unerwünschten Verhalten zu haben, habe ich mit meiner Kundin Marion dafür gesorgt, dass Chico ein gutes Lernumfeld bekommt, indem er noch nicht unangemessen reagiert. Das haben wir verstärkt und damit erreicht, dass Chico immer mehr von dem guten, ruhigen und freundlichen Verhalten gezeigt hat. Marion und viele andere meiner Kunden haben nie hart gestraft oder den Fokus nur auf dem unerwünschten Verhalten gehabt, aber dennoch wurde das Verhältnis zwischen Mensch und Hund jedes Mal deutlich schöner, die Liebe tiefer und die Bindung sicherer.

Du als Bezugsperson deines Hundes kannst insofern Vorbild sein, indem du dich nicht hinreißen lässt zu strafen. Sondern statt dessen dein Bewusstsein schärfst, und glasklar deine Vision vor Augen hast: Ein fröhliches, friedliches Miteinander mit deinem Hund, mit fairem, freundlichen Training wo es nötig ist, und ganz viel Spaß und Unbeschwertheit miteinander. Dein Hund wird sich anstecken lassen, und sofort bereit sein, dich darin zu unterstützen.

Herzlich

Bettina

Über die Autorin Bettina Haas

Bettina Haas, Hundetrainerin aus Leidenschaft, zeigt dir, wie du zum besten Freund und Trainer für deinen Hund wirst. Damit du schnell und nachhaltig zum Erfolg kommst und dein Leben mit Hund (wieder) richtig genießen kannst!

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