Will dein Hund dich ärgern?
„Der macht das doch mit Absicht!“
„Mein Hund weiß genau, dass er das nicht soll!“
Wie oft ich diese Sätze höre. Aber auch ich selbst denke hin und wieder, mein Hund will mich ärgern. Aber dann – dann wird mir bewusst, dass das mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht stimmt, und mir das außerdem kein Stück weiterhilft, wenn ich so denke.
Weiß er es wirklich?
In den Fällen, mit denen ich bisher zu tun hatte, stellte sich immer heraus, dass der Hund in Wirklichkeit noch zu wenig Informationen über ein erwünschtes Verhalten bekommen hatte, oder dass er einen anderen, triftigen Grund hatte für sein Verhalten. Der Grund war aber niemals, dass der Hund mit Absicht seinen Menschen ärgern wollte.
Wer bisher versucht hat, unerwünschtes Verhalten abzustellen, hat dem Hund noch nicht gesagt, was er statt dessen tun soll. Ich konzentriere mich mit meinem Training ja genau auf diesen Punkt, den Aufbau von gutem Verhalten. Mit dem unerwünschten Verhalten beschäftige ich mich fast nur, um herauszufinden, welche Motivation der Hund hat, und was entsprechend der passende Verstärker für gutes Verhalten ist. Mit dem Wissen ausgestattet lege ich den Fokus auf das neue Verhalten. Wir belohnen es mit einem Verstärker, der der Motivation des Hundes in der Situation entspricht.
Das Verhalten des Hundes hat also eine Motivation, aber nicht die hintergründige Absicht, seine Bezugsperson zu ärgern. Der Hund verhält sich auf eine bestimmte Weise, um etwas für sich zu erreichen, aber nicht um uns eins auszuwischen.
Absicht?
Es kann passieren, dass ein Hund etwas Bestimmtes immer in der gleichen Situation tut. Wenn ich Grace zum Beispiel nach dem Gassi nicht ausreichend entspannen kann, setzt sie sich auf das Sofa und schaut aus dem Fenster. Sobald sich irgendwas bewegt, beginnt sie zu bellen. Warum? Sie weiß, dass ich normalerweise zu ihr komme, mich neben sie setze und wir gemeinsam rausgucken. Ich erzähle ihr, was sie sieht, und dass es in Ordnung ist. Sie leckt mir dann voller Dankbarkeit (meine Interpretation!) durch mein Gesicht, und entspannt zusehends. Bald legt sie sich hin, mit kräftigem Druck gegen meinen Körper, und rollt sich ein. Die Augen fallen zu und sie seufzt einmal tief zufrieden. Wenn ich nach ein paar Minuten dann aufstehe, um wieder meine Sachen zu machen, ist alles in Ordnung, und sie bleibt entspannt.
Insofern macht Grace es mit „Absicht“: Sie möchte erreichen, dass ich zu ihr komme. Aber der Grund ist nicht, dass sie mich ärgern will. Sondern der Grund ist, dass sie sich nicht wohl fühlt. Sie fühlt sich abgestellt, und weiß nicht, wie sie ihre Erregung regulieren kann. Ich muss ihr helfen, zu entspannen.
Klar könnte ich sagen: „Grace macht das nur, um zu erzwingen, dass ich zu ihr komme!“
Wenn ich es eilig habe, ist mir das auch schon passiert. Ich bin ja ehrlich. Mir geht es da nicht anders als anderen Menschen. Darum habe ich ja auch Verständnis für meine Kunden, wenn sie dieselben Gedanken aussprechen.
Wir nehmen uns zu wichtig
Wenn wir glauben, der Hund tut etwas, nur um uns zu ärgern, stellen wir uns in den Mittelpunkt. Das ist vermutlich menschlich, und ganz normal. Wenn dir das so geht, sei also nicht so streng mit dir.
Die Erkenntnis kann aber dazu führen, dass du den Fokus mehr auf deinen Hund lenkst. Du kannst dir überlegen:“Wenn er es nicht wegen mir tut, warum tut er es dann?“
Jetzt kommst du der Motivation deines Hundes näher. Du erfährst etwas über ihn, über seine Gefühle. Dieses Wissen fördert dein Verständnis für sein Verhalten. Und mit Verständnis für seine Befindlichkeiten kannst du viel lockerer damit umgehen.
Bleib cool, Baby
Solange du dich vom Verhalten deines Hundes persönlich angegriffen fühlst, kommst du nicht weiter. Du rennst gefühlt gegen eine Wand, versuchst gegen deinen Hund zu kämpfen, anstatt sein Verhalten zu verändern. Oft fühlt man sich machtlos, weil man mit diesen Gedanken im Kopf nicht an die eigentliche Ursache kommt. Wer glaubt, einen „Arschlochhund“ zu haben, hat schlechte Karten.
Sei ganz beruhigt: Ich habe noch keinen echten Arschlochhund gesehen. Ich habe viele Hunde gesehen, die absolut missverstanden waren. Die sich ausgedrückt haben über ihre Körpersprache und damit nicht verstanden wurden. Hunde, die sich selbst hilflos fühlen gegen die Übermacht ihrer Menschen, die in ihren Augen so gar kein Verständnis für sie haben.
Das sind mutige Hunde, die sich nicht aufgeben. Denn die anderen fallen gar nicht auf. Die Hunde, die sich leicht einschränken lassen, gelten dann einfach als „brav“, obwohl sie einfach nur kapituliert haben.
Mein Appell an alle, die bisher glauben, sie hätten einen „Arschlochhund“: Tritt mal einen Schritt zurück. Schau dir das Verhalten deines Hundes mal mit anderen Augen an. Taste dich heran an sein eigentliches Wesen.. Fühle dich ein in seine Welt. Höre, was er dir sagen möchte. Für was kämpft er? Welches Bedürfnis von deinem Hund hast du noch nicht verstanden? Was stresst ihn? Was möchte er ausdrücken mit seinem Verhalten, dem Verhalten, das dich so wahnsinnig stört?
Verhaltensanalyse
Das Zauberwort, um einen vermeintlichen „Arschlochhund“ als ganz normalen Hund zu entlarven ist die Verhaltensanalyse. Wenn ich eine Verhaltensanalyse mache, erkenne ich die Motivation meines Hundes. Ich verstehe, dass mein Hund mir nicht ins Leben pfuschen will mit seinem Verhalten. Ich erkenne ein Bedürfnis hinter dem Verhalten.
Mehr über die Verhaltensanalyse kannst du hier lesen: Warum du eine Verhaltensanalyse brauchst
Mein Hund wird wieder ein Wesen, dass ich lieben kann. Schließlich holen wir uns Hunde ins Haus, weil wir etwas von ihnen bekommen, was wir sonst nicht auf die gleiche Weise bekommen würden. Weil sie uns lieben, wie nur Hunde es tun. Weil sie Hunde sind.
Was Hunde nicht haben
Hunde ähneln uns in vielem, aber es gibt Grenzen. Ihr Gehirn arbeitet sehr ähnlich wie unseres, es ist genau so aufgebaut wir unseres. Sie haben Gefühle genau wie wir. Sie ärgern sich, haben Angst, erleben Freude.
Was sie aber nicht haben, ist Moral wie wir. Ein Hund kann empfindsam reagieren, während ein anderer dickfellig erscheint. Solche Charaktere findet man. Es gibt Hunde, die lieber vorsorglich austeilen, anstatt einzustecken. Es gibt Hunde, die unter keinen Umständen einem anderen weh tun möchten, und andere, die lieber zuerst ihre eigene Haut retten, und angreifen, sobald es brenzlig wird. Das alles gibt es. Immer steckt eine Motivation dahinter, und die lautet meistens: Mein Verhalten tut mir gut, es hat mir in der Vergangenheit geholfen.
Dein Hund will Frieden
Auch wenn es für dich vielleicht manchmal nicht so aussieht: Dein Hund will Frieden. Er will unversehrt bleiben, nicht unnötige Energie verschwenden, und seine Bedürfnisse befriedigen. Das ist alles.
Hunde werden häufig in unhundlichen Verhältnissen gehalten. Manche Hunde können ganz normale Bedürfnisse wie buddeln, hetzen, sich wälzen in etwas Stinkendem, oder etwas fressen was sie finden nicht ausüben. Das alles ist aber vollkommen normales Hundeverhalten. Solche Verhalten nicht ausüben zu können macht krank.
Statt dessen werden sie gezwungen zu baden, auch wenn sie es hassen oder Angst davor haben.
Wir werden übergriffig und pulen gefundene Leckereien aus dem Maul.
Wir bestrafen unseren Hund durch miese Stimmung oder Schlimmeres, wenn für ihn Anderes gerade wichtiger ist als wir.
Wir binden sie an uns und zwingen sie in Situationen, denen sie nicht gewachsen sind.
Hunde können nicht ausweichen, wenn sie wollen, weil die Leine sie daran hindert. Sie können das eigene Gehtempo nur im Freilauf ausleben. Sie sollen wie ferngesteuert „funktionieren“, alles stehen und liegen lassen, nur weil wir das wollen. Einfach immer und überall gehorchen. Aber was tun wir im Gegenzug?
Klar, wir geben Futter, Tierärztliche Versorgung und ein weiches Bett. Das sind aber wie gesagt nicht die einzigen Bedürfnisse von Hunden.
Blick nach vorne
Nein, ich will hier nicht auf die Tränendrüse drücken. Ich male die Dinge gerne ein wenig drastisch aus, um zu verdeutlichen, worum es geht.
Vermutlich hast du das längst verstanden. Es geht um einen Blick nach vorne. Was kann ich in Zukunft tun, damit es meinem Hund und mir (!) besser geht?
„Und mir“ ist wichtig. Ich bin absolut nicht der Meinung, dass nur wir immer geben müssen. Aber unser Hund kann uns nur dann mit gutem Verhalten erfreuen, wenn wir es ihm zeigen, es ermöglichen und ihm helfen.
Wenn wir verstehen, dass wir Verantwortung tragen nicht nur für den vollen Futternapf, oder dafür, die Häufchen aufzusammeln, dann werden wir unserer Rolle als Hundehalter gerecht. Krass gesagt halten wir Hunde in Gefangenschaft. Dieser Blick eröffnet eine neue Perspektive. Hunde sind nicht dafür geschaffen, uns jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sie sind nicht unsere Diener. Genausowenig wie wir ihre Diener sind. Das Wort ist völlig falsch in dem Zusammenhang.
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Nur du kannst eure Probleme lösen
Sehen wir uns und unsere Hunde als etwas ungleiche Partner. Wir haben viel mehr Möglichkeiten, die Welt unseres Partners Hund zu verstehen als umgekehrt. Darum können nur wir unsere gemeinsamen Probleme lösen. Kommunikation kann nur funktionieren, wenn sie keine Einbahnstraße ist. Wir können unseren Hund verstehen lernen. Hunde dagegen werden so viele Dinge niemals verstehen, aber sie akzeptieren so viel. Das ist ihr Geschenk an uns.
Hunde nehmen uns wie wir sind. Sie versuchen das Beste aus unserem Zusammenleben zu machen. Sie geben sich alle Mühe, uns zufrieden zu stellen. Merken wir dies und verstehen wir unseren Hund als ein Wesen mit Gefühlen, mit einem gewissen Grad an Empathie, mit Bedürfnissen, so steht einem friedvollen Zusammenleben nichts im Weg.
Lösungen, um Probleme friedlich, fair und zügig zu bearbeiten, findest du inzwischen zu Hauf. Fang an. Jetzt.
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