Wozu du eine Verhaltensanalyse brauchst

Wozu du eine Verhaltensanalyse brauchst

Verhaltensanalyse – nur ein schönes Wort?

Was ist denn eine Verhaltensanalyse? Ist das nicht vielleicht nur ein Marketing-Trick, ein tolles Wort, das nach etwas Besonderem klingen soll, damit man sein Coaching teurer verkaufen kann?

Ein klares NEIN.

Eine Verhaltensanalyse ist notwendig, um überhaupt richtig reagieren zu können. Ohne eine nüchterne Analyse bleibt man stecken im Gefühl. Gefühle sind wichtig, keine Frage. Und jeder Hundehalter hat sie. Das ist normal.

Wenn der Hund knurrt, weil sein Mensch auch einen Platz auf dem Sofa beansprucht, ist der Halter empört. Sofort kommt der Gedanke auf: „Ist der jetzt dominant? Das darf der nicht! Er muss verstehen, dass ich der Alpha bin!“  Ich finde das als erste Reaktion des betroffenen Menschen völlig normal. Schließlich ist es sein Hund, und man erschrickt, wenn der eigene Hund einen anknurrt. Noch dazu wegen etwas, das man selbst für völlig normal hält. Schließlich hat der Mensch das Sofa gekauft, nicht der Hund.

Gedanken beeinflussen Handeln

Dieser erste Gedanke löst häufig ein Verhalten aus, das ebenfalls eine aggressive Bedeutung hat. Man möchte das Sofa für sich zurückgewinnen. Man möchte dem Hund verbieten, überhaupt auf das Sofa zu gehen. „Jetzt muss ich mich durchsetzen, sonst tanzt mir der Hund auf der  Nase herum!“

Schon wird der Hund mit barschen Worten in sein Körbchen geschickt. Wenn man Glück hat, geht er hinein, und schaut etwas seltsam aus der Wäsche, äh aus dem Fell.

Wenn man aber Pech hat, sagt der Hund: „Hey, so nicht!!“ und schnappt nach der Hand, die vor seiner Nase dafür sorgen will, dass er endlich den Platz räumt, oder nach der Hand, die ihn tätlich vom Sofa ziehen, drücken, schlagen will.

So nicht, sagt der Hund. Und Recht hat er.

Oh, ich höre die Schnappatmung.

Diese Wattebäuschchen-Werfer.

Bei denen darf der Hund sich wohl alles erlauben?

Streng sein verboten?

Ist streng sein verboten bei uns positiven Trainern? Nö. Aber in den meisten Fällen nicht nötig. Klar kommt es vor, dass ich mal etwas deutlicher werde, besonders dann, wenn meine eigene Impulskontrolle durch was auch immer am Ende ist. Aber streng sein behebt nicht das Problem. Sondern ist höchstens eine temporäre Lösung.

Wenn wir uns das Modell von den 4 möglichen Konsequenzen anschauen, dann kommt ja leicht die Idee auf, dass es doch sicher am schnellsten geht, wenn wir Strafe und Lob kombinieren: Unerwünschtes Verhalten schnell und deutlich bestrafen, und gutes Verhalten belohnen.

Theoretisch könnte das so sein. Im Labor klappt das prima. In der Praxis des Zusammenlebens mit Hunden zeigt sich allerdings, dass der Hund dadurch häufig in einer ständigen Unsicherheit ist, was er jetzt von seinem Menschen erwarten kann. Mal ist der nett, und es gibt Guddies, dann wieder ist er plötzlich empört und es setzt was. Dem Hund ist durchaus nicht immer klar, warum.

Ein Mensch, der so reagiert, handelt aus dem Bauch heraus. Viele glauben, dadurch besonders authentisch zu sein, und so wie ein Hund zu reagieren. Das Dumme ist nur, dass wir keine Hunde sind. Wir haben nicht die Möglichkeiten, wie ein Hund zu reagieren.

Ich kann zum Beispiel zwar mit den Ohren wackeln, aber ich kann nicht die feinen Zeichen damit senden, wie Hunde es tun. Ich kann natürlich die Zähne blecken, aber ich tue es auch, wenn ich lache und glücklich bin. Bei mir stellen sich auch manchmal die Nackenhaare auf (besonders in manchen Facebook-Gruppen) aber mein Hund kann es nicht sehen und nur weil der gerade was unerwünschtes tut, klappt das auch nicht. Naja, und dass ich keine Rute habe um etwas über meine Stimmung zu verraten, wisst ihr ja auch.

Nüchternes Denken ist angebracht

Ich sage nicht: „Denken statt fühlen“. Es geht nicht darum, dass nur eines richtig ist und das andere falsch. Ohne zu fühlen, kann ich mich auch in eine komplett falsche Richtung begeben. Aber das Denken sollten wir nicht lassen.

Wir haben als Menschen die Möglichkeit, uns einen Moment lang von unseren Gefühlen zu trennen und sozusagen „nüchtern“ auf ein Problem zu schauen. Wenn man sich darauf einlässt, stellt man auch im zwischenmenschlichen Bereich öfter mal fest, dass das Gegenüber einen gerade gar nicht angreifen wollte, sondern sich selbst unsicher gefühlt hat und mehr Sicherheit braucht.

So ähnlich ist es auch bei Hunden.

Wenn Hunde aggressiv reagieren, haben sie einen triftigen Grund. Und anstatt spontan zu sagen: „Das darf der nicht“ sollten wir uns fragen: „Wozu tut der das?“

Aber nach der Reihe.

Wie funktioniert das mit der Verhaltensanalyse?

Denn genau das ist es, was du benötigst Du brauchst eine Verhaltensanalyse.

Schauen wir uns doch mal an, was es damit auf sich hat.

B = Behavior

In der Mitte steht das Verhalten. Das ist in diesem Beispiel das unerwünschte Aggressionsverhalten des Hundes beim verteidigen „seines“ Sofas. 

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A = Antezedenzien

Verhalten entsteht ja nicht im luftleeren Raum, sondern es gibt Auslöser. Die stehen vor dem Verhalten.

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Die Antezedenzien

Das können direkte Auslöser sein, wie zum Beispiel der Mensch, der seinen Platz auf dem Sofa beansprucht. Es gibt aber noch mehr Dinge, die Verhalten beeinflussen und vor dem Verhalten stehen.

Zum Beispiel die Gesundheit des Hundes. Hat unser Beispielhund eine Schilddrüsen-Unterfunktion, kann er weder völlig normal reagieren noch optimal lernen. Denn die Schilddrüse hat mit Hormonen zu tun, und Hormone steuern Verhalten – somit wirkt eine Störung der Funktion direkt auf Verhalten.

Schmerzen beeinflussen ebenfalls unmittelbar das Verhalten.

Ein weiterer Einfluss ist der Umgang mit dem Hund. Wie gestalte ich das Zusammenleben? Sind die Bedürfnisse des Hundes weitgehend gestillt? (Anmerkung: Hunde brauchen weit mehr als nur Futter und Wasser).

Bestrafe ich häufig und / oder hart? Bin ich überhaupt klar für meinen Hund in meinen Signalen? Trainiere ich ausreichend? Haben wir richtig schöne Zeiten miteinander, oder ist das Zusammenleben ein einziger Kampf (und somit Krampf)?

Auch direkte Erlebnisse steuern Verhalten. Musste mein Hund heute besonders viel Impulskontrolle aufbringen? Gab es bereits Situationen, die ihn sehr belastet haben?

Oder gibt es dauerhafte Stressoren? Zum Beispiel kann das Alleinesein für Hunde äußerst belastend sein, vor allem, wenn er unter Trennungsstress leidet oder die Wartezeit extrem lang ist.

Auch bestimmte Trainingsmethoden oder Übungen können für manche Hunde eine große Belastung darstellen.

Alle diese Dinge beeinflussen das Verhalten. Ändert man hier etwas, ändert sich das Verhalten.

C = Consequences

Dann gibt es noch die Seite nach dem Verhalten. Das sind die Konsequenzen des Verhaltens. Was geschieht, nachdem der Hund sein Verhalten gezeigt hat?

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Die Konsequenzen

 

Hier sind die Komponenten Strafe und Verstärker zu finden. Nicht vergessen darf man dabei, dass es sich nicht nur um die Konsequenzen handelt, die von uns bewusst kommen. Es gibt in vielen Fällen Konsequenzen, die wir kaum ändern können. Zum Beispiel ist das Weggehen des Postboten aus Sicht des Hundes eine Konsequenz seines Bellverhaltens.

Trotzdem  können wir auch auf dieser Seite meistens Dinge verändern. Wir können zum Beispiel auf das Knurren unseres Hundes anstelle von „Gegenknurren“ regelmäßig freundlich reagieren und dem Hund den Raum geben, den er braucht, um sich zu entspannen. Ja, damit haben wir das Knurren belohnt, und das könnte durchaus ein Ziel sein. Denn Knurren ist nicht Beißen, sondern eine ziemlich deutliche, unmissverständliche Kommunikation, die etwas bewirken soll. Sie zeigt auch, dass wir mit großer Sicherheit zuvor gezeigte Signale nicht gesehen haben. Denn Knurren aus heiterem Himmel ist ziemlich selten.

Es gibt also sowohl vor als auch nach dem Verhalten die Möglichkeit zur Veränderung. Beides wirkt sich auf das Verhalten aus.

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Wirkung am Verhalten

Das bedeutet, wenn ich etwas verändert habe, muss ich danach wieder neu analysieren:

Was für ein Verhalten zeigt mein Hund jetzt? Wozu tut er das?

Hat meine Veränderung vorne oder hinten dafür gesorgt, dass etwas verbessert wurde?

Was sollte ich jetzt ändern?

Und wieder geht die Sache von vorne los.

Denken und lenken

Durch den inneren Abstand und einen unemotionalen Blick auf das Problem kommen wir schneller an die Lösung desselben. Wir erkennen das Bedürfnis des Hundes in der Situation. Wir sehen, wo wir uns vielleicht im Vorfeld selbst falsch verhalten haben, und wie wir durch eine Änderung des eigenen Verhaltens das Verhalten des Hundes nach unseren Wünschen beeinflussen können.

So lenken wir freundlich und fair, anstatt einen Deckel auf Verhalten zu legen, damit es nicht rauskommt. Denn der Topf kocht irgendwann doch über, da hilft es nicht, den Deckel schön fest anzupressen…

Bei der Veränderung von Verhalten denken viele Hundehalter nur an die Konsequenzen. Aber gerade bei den Vorboten und Auslösern gibt es unendliche Möglichkeiten, um Verhalten zu verändern.

Nicht nur für „ernste“ Verhaltensprobleme

Früher dachte ich immer, eine Verhaltensanalyse braucht man für ganz schwere Verhaltensprobleme, also eher bei Hunden, die „krankhaftes“ Verhalten an den Tag legen.

Das stimmt nicht.

Du kannst so eine Analyse bei jedem Verhalten, an dem du trainieren möchtest, anwenden. Das macht absolut Sinn. Sogar bei der Leinenführigkeit.

Du erkennst besser, welche Faktoren das Verhalten beeinflussen. Und dann erkennst du die Veränderung und wie du darauf reagieren kannst.

Das Modell von A – B- C hilft dir, genau zu wissen, was zu tun ist. Du verstehst auf einmal, dass es nicht nur Belohnung und Strafe gibt, um ein Verhalten zu beeinflussen, sondern auch vor dem Verhalten viele kleine Drehknöpfe sind, an denen man etwas verstellen kann. Auch Management gehört dazu. Management hilft, Verhalten zu verhindern, bevor das Training greift.

Dazu noch ein Beispiel:

Ein Hund, der Probleme mit anderen Hunden hat, profitiert davon, wenn Hundebegegnungen deutlich reduziert werden, bis seine Bezugsperson Handlungsmöglichkeiten gelernt hat, um das Verhalten durch sinnvolles Training zu verändern.

Und während des Trainings profitiert er davon, möglichst genug Abstand zum anderen Hund zu haben, um das unerwünschte Verhalten nicht auftreten zu lassen. Denn dann kann er in Ruhe das neue, erwünschte Verhalten lernen.

Den Alltag so zu verändern, dass das Problem einfach nicht auftritt: Das ist Management.

Funktion des Verhaltens

Bei einer Verhaltensanalyse schauen wir ganz genau hin, welche Funktion das (von uns unerwünschte) Verhalten für den Hund hat. Ein Hund, der auf dem Sofa zu knurren beginnt, sobald sich die Bezugsperson nähert, möchte seinen Platz auf dem Sofa gerne behalten. Der Platz ist ihm wichtig. Vielleicht gibt dieser Platz besondere Sicherheit.

Der Hund knurrt, weil er erlebt hat, dass dieser Platz ihm genommen wird, wenn die Menschen dazu kommen. Sobald seine Menschen ebenfalls Platz auf dem Sofa haben wollen, soll er sich davon machen und in sein Körbchen gehen. Darum ist die Annäherung der Bezugspersonen ein Vorbote für den Verlust der Ressource Sofa.

Wählen wir in diesem Fall die Methode „Jetzt muss ich mich durchsetzen!“, verliert das Verhalten Knurren seine Funktion. Bei manchen Hunden mag das zum Ziel führen, bei den meisten vermutlich nicht. Viele Hunde werden einfach das Knurren in Zukunft weglassen und sofort mit den Zähnen verteidigen, was ihnen wichtig ist. Warum? Weil ihre Menschen die Funktion ihres Verhaltens nicht verstanden haben.

Wenn wir statt dessen erkennen, dass unser Hund so schön „Bescheid sagt“, wie wichtig ihm das Liegen auf dem Sofa ist, und dass er einfach große Sorge hat, dieses Privileg zu verlieren, können wir doch auch anders reagieren. Denn dann nehmen wir das Verhalten nicht persönlich, sondern erkennen seine Funktion für den Hund.

Darum nennen wir die Verhaltensanalyse auch „Funktionale Verhaltensanalyse“. Klingt noch besser, wird noch teurer sein – oder was denkst du gerade?

Nein, du weißt es jetzt ja besser. Eine Funktionale Verhaltensanalyse führt relativ zügig zum Ziel, und ist daher sowieso jeden Preis wert. Besonders dann, wenn ein belastendes Problem damit behoben wird, und die Familie wieder entspannt auf dem Sofa kuscheln kann – mit ihrem Hund.

Achtung:

Dieser Beitrag ist keine Anleitung für eine Verhaltensanalyse. Wenn dein Hund aggressiv reagiert, beginne bitte nicht, selbst daran zu trainieren. Es ist besser, ein solches Verhalten mit einem guten, positiv arbeitenden Trainer/In zu trainieren. Manchmal sind es Nuancen, die anders sind und übersehen werden. Meine Beispiele lassen sich nicht auf jeden Hund und jedes Situation übertragen.

Wenn du die Verhaltensanalyse selbst anwenden möchtest, übe es an ungefährlichen Alltagssituationen, z.B. an der Leinenführigkeit.

 

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Über die Autorin Bettina Haas

Bettina Haas, Hundetrainerin aus Leidenschaft, zeigt dir, wie du zum besten Freund und Trainer für deinen Hund wirst. Damit du schnell und nachhaltig zum Erfolg kommst und dein Leben mit Hund (wieder) richtig genießen kannst!

2 Antworten

  1. Hier gehts ja um des Pudels kern: „Was für ein Verhalten zeigt mein Hund jetzt? Wozu tut er das?“ Die Auslöser sind meistens im Grossen und Ganzen klar, jedoch ist damit noch keine Erklärung für das „Wozu“ gegeben, vor allem dann nicht, wenn von einem für den Hund ungewöhnlichen Verhalten die Rede ist.

    1. Hallo Mathilde,
      das Wozu erfährt man, wenn man sich die Konsequenzen anschaut. Das sind ja nicht immer die Konsequenzen des Menschen, sondern zum Beispiel: Hund bellt, Postbote verschwindet. Das ist die vom Hund gewünschte Konsequenz.
      Oft kann man genau über so eine Verhaltensanalyse auch das Wozu herausfinden und entsprechend die Konsequenzen verändern.

      Liebe Grüße
      Bettina

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