Wann du deinen Hund vermenschlichst…
…und warum du es nicht tun solltest
Was ist das genau, diese Vermenschlichung?
Was unterscheidet Hunde von Menschen?
Hunde sind Hunde, keine Menschen. Bis dahin gibt mir sicher jeder Recht. Wo aber genau der Unterschied liegt zwischen Mensch und Hund ist gar nicht so einfach zu bestimmen.
Säugetiere
Beide sind wir Säugetiere. Unsere Gehirne ähneln sich sehr stark, nicht nur im Aussehen, sondern auch in ihrer Funktion. Dass Hunde genau wie wir Gefühle haben, hat sich mittlerweile auch herumgesprochen.
Gefühle und Bedürfnisse
Hunde haben Gefühle und Bedürfnisse. Manche ihrer Bedürfnisse unterscheiden sich von unseren. In einem sind wir uns aber ähnlich: Wir brauchen andere um uns herum. Jedenfalls die meisten von uns. Es gibt ja einzelne Menschen, die es vorziehen, ein Leben in völliger Einsamkeit zu leben. Das Bedürfnis nach Sozialkontakten ist sowohl bei Menschen als auch bei Hunden verschieden stark ausgeprägt. Manche Menschen brauchen immer viele andere um sich herum, andere sind häufig gerne alleine mit sich selbst.
Sozialkontakte
Das ist bei Hunden auch so. Es gibt Hunde, die tatsächlich mit jedem Hund, den sie treffen, freundlich kommunizieren und sogar oft spielen. Andere Hunde dagegen ziehen es vor, nur mit wenigen guten Freunden zusammen zu sein, und mögen die Begegnungen mit fremden Hunden gar nicht.
Also immer noch kein wirklicher Unterschied. Wir Menschen leben gerne mit Hunden zusammen, und Hunde gerne mit Menschen. Das ist auch nicht für jedes Individuum so, aber grundsätzlich kann das als richtig stehen bleiben. Das liegt ganz einfach in der Evolution des Hundes begründet, der sich aus seiner Form des Wolfes zu der Form des Hundes im Grunde genommen selbst domestiziert hat.
Viele Gemeinsamkeiten
Wir haben also wirklich viele Gemeinsamkeiten, unsere Hunde und wir. Wie kann es sein, dass es schädlich ist, Hunde zu vermenschlichen? Wenn wir uns so ähnlich sind, könnten wir doch Hunde wirklich wie Kinder mit Fell behandeln, oder nicht?
Ich selbst bezeichne meinen Hund häufig als mein „Fellkind“, meine damit allerdings nicht, dass ich den Hund wie ein Kind behandle. Sondern dass ich meinen Erziehungsauftrag ernst nehme.
Werte und Regeln
Der wahre Unterschied zwischen Mensch und Hund ist in meinen Augen nicht die Intelligenz. Sondern unsere Werte. Wir Menschen haben andere Wertvorstellungen als Hunde.
Aus diesen Wertvorstellungen leiten wir Regeln ab, die unser Zusammenleben strukturieren. Regeln stabilisieren die Gemeinschaft. So wird keine unnötige Energie in Konflikte und Kämpfe gesteckt wird, die anderweitig dringend gebraucht wird.
Regeln sind also dazu da, dass wir entspannter miteinander umgehen können. Zum Beispiel gibt es bestimmte Regeln bei der Begrüßung, um sich gegenseitig zu versichern, dass man freundlich gesinnt ist: Lächeln, freundlich und offen aufeinander zu gehen, Hand schütteln, Blickkontakt schenken.
Hunderegeln – Menschenregeln
Hunde haben auch Regeln, denn auch in ihrem Zusammenleben haben diese Regeln geholfen, keine unnötige Energie zu verschwenden. Hunderegeln unterscheiden sich aber in vielen Dingen von Menschenregeln.
Nehmen wir gleich das Beispiel Begrüßung. Hunde begrüßen sich höflich, indem sie nicht direkt aufeinander zu gehen, auf keinen Fall frontal die Augen aufeinander richten, und auch niemals die Lefzen hochnehmen um die Zähne zu zeigen….
Unhöflich?
Junge Hunde lecken den älteren die Lefzen zur Begrüßung. Daraus entwickelt sich das Hochspringen am Menschen: Der Hund will nur höflich sein, und die Lefzen seines Menschen lecken. Wenn die anders nicht erreichbar sind, springt man eben. Wenn der Mensch nun glaubt, der Hund ist bewusst unhöflich, dann vermenschlicht er seinen Hund.
Der Hund kann lernen, Menschen anders zu begrüßen, wird aber kaum verstehen, warum er das lernen soll. Darum ist es wie ein Trick anzusehen, es ihm beizubringen.
Andere Wertvorstellungen
Genauso wie Begegnungsregeln verschieden sind, sind auch viele andere Regeln deutlich von unseren zu unterscheiden. Die Werte von Hunden sind ganz andere als die von Menschen. Mein Hund erkennt den Wert einer teuren Wolldecke nicht, sondern findet sie prima geeignet zu einem Zerrspiel.
Hunden gehört das, was sie finden. Es gehört ihnen, solange sie es behalten wollen. Diese Regel akzeptiert normalerweise jeder andere Hund. Probleme sind vorprogrammiert, wenn zwei Hunde mit einem Ressourcenkontrollproblem aufeinander treffen…oder wenn der Mensch glaubt, nur weil er der Mensch ist, müsse sein Hund alles sofort hergeben.
Wenn der Mensch sagt, der Hund müsse doch wissen, dass die gute Decke nicht zum spielen da ist, vermenschlicht er seinen Hund. Nein, das weiß der Hund nicht, und er wird es auch nicht so verstehen, wie wir es meinen. Es ist für ihn nicht so leicht, die Decken zu unterscheiden. Decke ist Decke.
Natürlich kann der Hund lernen, mit welchen Dingen gespielt wird, und mit welchen nicht. Aber die Begründung versteht er nicht. Das sind unsere Werte, nicht seine.
„Der weiß genau…“
Darum kann ich ihn auch nicht bestrafen für das Zerrspiel mit dem falschen Gegenstand, denn Strafe setzt voraus, dass der Bestrafte Einsicht in sein falsches Verhalten hat. Das ist der Knackpunkt. Wir vermenschlichen unsere Hunde, wenn wir sagen: „Der weiß genau, dass er das nicht darf!!“
Das ist schlicht falsch. Wenn es der Hund wüsste, würde er es nicht machen.
Teure Decken packst du weg, dann erwischt dein Hund nicht die falsche. Fertig.
Hunde haben keine Regeln für das Gehen an der Leine, oder dafür, dass sich ein Hund sofort hinsetzen muss, wenn ein anderer das will. Darum kann dein Hund nicht dafür bestraft werden, wenn er nicht an lockerer Leine geht oder sich nicht sofort hinsetzt auf Signal. Er muss diese Dinge lernen wie einen Trick.
Ohr geben?
Wir trafen mal die Besitzerin eines großen Hundes, die uns erzählte, wie sie es schafft, ihren Hund bei Hundebegegnungen halten zu können. „Ich geb` ihm Ohr, damit haben wir das gut in den Griff bekommen!“ Sie meinte damit, dass sie ihren Hund ins Ohr zwickt, wenn er bellt und zieht. Das ist Vermenschlichung, weil ihr Hund nie verstehen wird, warum sein Mensch ihn ins Ohr zwickt, wenn ein anderer Hund auftaucht. Ob sie es dadurch tatsächlich auf Dauer „in den Griff“ bekommen hat, wird sich noch zeigen…
Unterschiedliche Werte
Seine Werte bei einer Hundebegegnung sind geradezu gegensätzlich zu unseren. Der Hund will seine Ressourcen behalten, sein Revier verteidigen, oder einfach nur in Ruhe gelassen werden. Darum sagt er Bescheid, wenn der andere Hund zu dicht herankommt nach seinem Gefühl. Dass der Mensch ihn zwickt, weil er was falsch macht, kann er nicht begreifen. Er wird bestenfalls glauben, der Mensch sei frustriert oder sehr aufgeregt, so dass er ihn ins Ohr zwickt. Vor allem verknüpft er aber etwas Unangenehmes mit der Hundebegegnung, und wird sich dadurch nicht wohler fühlen dabei.
Der Mensch, der durch Zwicken seinen Hund bestraft in dieser Situation, vermenschlicht seinen Hund. Weil er davon ausgeht, dass der Hund wie ein Mensch begreift, warum er bestraft wird.
Klar kommunizieren
Klar kommunizieren heißt nicht, ganz schnell zu zwicken, um „so wie Hunde“ zu reagieren. Sondern es bedeutet, dass ich Wege finde, meinem Hund das erwünschte Verhalten zeigen zu können, und es mit ihm zu üben. Um das zu tun, muss ich wissen, wie Hunde lernen.
Wenn du dich um diese Dinge kümmerst, anstatt einfach zu sagen: “Der weiß genau….“ und den Hund für sein Verhalten zu bestrafen, verhinderst du Vermenschlichung. Du siehst den Hund als Hund, und verstehst, dass seine Werte nicht deine sind. Du kannst von ihm nicht erwarten, dass er sich wie ein Mensch verhält. Aber du kannst deinen Hund trainieren, Verhalten zu zeigen, das du gut findest. Dann macht es auch nichts, wenn du ihn als dein Fellkind bezeichnest.
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