Kann Angst verstärkt werden?
Mit dieser Frage meine ich: Kann ich die Angst meines Hundes durch meine Zuwendung stärker machen? Hat mein Hund durch meine Zuwendung mehr Angst als vorher?
Um es kurz und super klar zu sagen: NEIN.
Was heißt verstärken?
In diesem Fall geht es um ein Gefühl. Angst ist ein GEFÜHL und kein Verhalten.
Klar gibt es Angstverhalten, dass ist das, was der Hund tut, wenn er Angst hat. Aber das Verhalten tritt nicht einfach so auf, sondern nur in Kopplung mit der Angst.
Wenn wir von positiver Verstärkung sprechen, meinen wir, dass wir VERHALTEN verstärken wollen. Wir möchten, dass das Verhalten häufiger auftritt, oder schneller oder dauerhafter.
Es sind also völlig verschiedene Dinge.
Wird Angst größer durch soziale Unterstützung?
Ich glaube, die Frage kann jeder aus dem Bauch heraus selbst beantworten. Jeder, der schon mal Angst hatte.
Mir ist kein einziger Fall bekannt, wo jemand durch nette Worte und soziale Unterstützung MEHR Angst bekam als eh schon.
Ein netter, freundlicher Arzt, der meine Angst vor einer Behandlung nicht lächerlich macht, sondern mich beruhigt, macht mir nicht mehr Angst, sondern eher weniger.
Das ist bei Hunden nicht anders.
Heißt: Solange die Art der sozialen Unterstützung nicht selbst Angst hervorruft, weil sie mega-ungünstig gegeben wird, kann die Angst nicht größer werden.
Beispiel:
Es soll Menschen geben, die ihren Hund beim „Trösten“ fest in den Arm nehmen…das kann natürlich Angst auslösen, weil die meisten Hunde das gar nicht mögen. Anders als wir Menschen umarmen sich Hunde ja nicht. Wir hingegen tun genau das, wenn wir jemandem unsere Liebe und Unterstützung bekunden wollen.
Davon sollten wir Abstand nehmen, wenn wir unseren Hund unterstützen wollen. Auch verbales „Getue“ mit viel „ooooch, du Aaaaarmer, dir passiiiiert doch nichts…“ kann potenziell dazu führen, dass der Hund noch mehr Angst bekommt, als er so schon hat.
Wie sieht gute soziale Unterstützung aus?
Gute soziale Unterstützung orientiert sich vor allem am Individuum und der Situation. Was hilft diesem Hund in dieser Situation?
Viele Hunde mögen es, sich an den Menschen zu drücken, an die Beine oder die Hände zu lehnen, und uns zu spüren. Sie mögen sich zwar nicht gerne umarmen lassen, aber körperliche Zuwendung kann auch anders gegeben werden.
Manche Hunde stellen eine Pfote auf den Fuß ihrer Menschen. Damit geben sie sich die Sicherheit, dass der Mensch da ist. Vielleicht soll es dem Menschen auch sagen, dass er sich bitte kümmern soll. Wir wissen es nicht sicher.
Das Markersignal kann Angst auffangen. Es ist ein Sicherheitssignal, denn es sagt gute Dinge voraus. Die müssen natürlich auch zur Situation passen – also zum Beispiel wird die Futteraufnahme bei Angst vom Gehirn gebremst – darum machen Leckerchen oft keinen Sinn. Eher passt die Frage:“Soll ich dich streicheln?“
Das konditionierte Entspannungswort kann ebenfalls sinnvoll eingesetzt werden. Es sorgt dafür, dass die Erregung sich leicht senkt, so dass der Hund wieder denken und Signale empfangen und umsetzen kann.
Danach macht es Sinn, eine Strategie zu wählen, die dem Hund in der Angst auslösenden Situation maßgeblich hilft.
- Eine größere Distanz schaffen
- Die Ohren schützen vor Lärm
- Sicherheit beim Menschen finden
- Einen sicheren Ort aufsuchen
- Zügig und gemeinsam die Situation verlassen
Du darfst mit Deinem Hund auch einfach sprechen, wenn es ihm hilft. Es ist ein Märchen, dass das die Angst verstärkt!
Wichtig ist nur, dass Du nicht in mitleidigem oder aufgeregtem Ton herumjammerst (siehe oben), sondern Deinen Hund einfach ruhig mit Worten unterstützt.
Sei Dir bewusst, dass er zwar Deine Worte nicht versteht, wohl aber Deine Stimmung wahrnimmt. Wenn Du selbst Angst hast und dies in Deiner Stimme wahrnehmbar ist, kann es schon passieren, dass die Angst Deines Hundes größer wird durch Dein Sprechen.
Du kannst entgegenwirken, indem Du ruhig ein und aus atmest und lächelst.
Wenn Du ein konditioniertes Entspannungssignal aufgebaut hast, kann das sowohl Dir als auch Deinem Hund helfen.
Angst wegtrainieren
Wenn Du Angst beseitigen möchtest, vergiss als erstes das Wort „Gewöhnung“. Dein Hund kann sich nicht mehr an den Reiz gewöhnen, der jetzt Angst auslöst. Gewöhnung ist nur dann möglich, wenn der Reiz noch keine Wertung vom Hundegehirn bekommen hat, also weder Angst noch Freude auslöst.
Dein Hund hat aber bestimmten Reizen eine Bedeutung gegeben. Bei Angst ist es ihm offensichtlich unheimlich, was da passiert. Oder er erschreckt sich aufgrund eines Geräuschs.
Um Angst zu verringern müssen wir die Angst auslösenden Reize dosiert anbieten. Und es macht Sinn, die Häufigkeit von Angstauslösern gering zu halten, wenn das möglich ist. Also nicht genau da hin gehen, wo der Hund am meisten Angst hat, und warten, bis er „sich wohl fühlt damit“ – das ist weder artgerecht noch zielführend.
Beispiel:
Wenn Dein Hund Angst hat vor Rollläden, gehst Du eine Weile in Feld und Wald spazieren und übst nur in kurzen Zeiteinheiten und mit ausreichend Sicherheitsabstand, das Geräusch der Rollläden ohne Angst hören zu können.
Der sichere Hafen
Ganz besonders beim Angstverhalten ist ein Ort wichtig, der für deinem Hund ein „sicherer Hafen“ ist. Ein bequemer Platz im Haus, den er gerne von selbst aufsucht und sich dort entspannt, kann so ein sicherer Hafen sein.
Dein Hund sollte ausreichend Ruhe bekommen, abwechselnd mit angstfreien Aktivitäten, am besten mit Dir gemeinsam.
Kontaktliegen und einfach gemeinsam entspannen kann eine wertvolle Qualitätszeit für beide Teampartner sein, und das Band zwischen euch stärken. Das hilft Dir dann im Training an den Angstauslösern.
Und Du selbst solltest auch jederzeit für Deinen Hund als sicherer Hafen zur Verfügung stehen – schließlich bist Du es, der den Hund in die verschiedenen Situationen bringt! Dein Hund sucht sich das nicht aus…
Darum tut es mir immer im Herzen weh, wenn wieder einmal ein Fernseh-Trainer erzählt, dass Angst durch Zuwendung verstärkt wird. ES. IST. NICHT. WAHR.
Warum sind Ruhezeiten und ein sicherer Ort so wichtig? Der Organismus muss nach einer Belastung eine Erholung erfahren. In der Pause geschieht die Verknüpfung der Lerninhalte – das ist der erste Grund.
Der zweite liegt ja auf der Hand: Wenn Dein Hund vor bestimmten Dingen Angst hat, muss als Gegenpol irgendwo ein Wohlfühlort sein, an dem er wieder zur Ruhe kommen kann. Sonst wird der Stress chronisch.
Medizinische Hilfe
Bei sehr starker Angstproblematik macht es Sinn, den Hund einem Verhaltenstierarzt vorzustellen und mit Medikamenten oder zumindest Nahrungsergänzungsmitteln zu unterstützen. Angst hemmt alle anderen Verhalten, und auch Denken ist oft gar nicht möglich, wenn die Angst zu groß geworden ist.
Dann sind Medikamente die Türöffner für das Training. Es geht niemals darum, das Tier einfach ruhig zu stellen und gut ist!!
Sondern darum, die Angst am Anfang zu lindern, um Training möglich zu machen.
Finde einen Profi
Und last, not least: Finde einen Profi, der Dich unterstützt.
Ein Profi KANN im Fernsehen auftreten, muss er aber nicht…und manche Fernsehprofis sind leider nur Profis der Unterhaltung und der Einschaltquote, aber nicht im Hundetraining.
Das ist schade, aber Tatsache. Schaue und lies bitte immer kritisch. Stelle Fragen. Höre genau zu.
Höre auf die Liebe – denn Du darfst Deinen Hund lieben und gern haben, so sehr Du möchtest. Tu also nichts, wo Dein Bauch sagt:“Ich glaube nicht, dass das gut ist!“
Angst zieht schnell Kreise, denn sie ist ein uraltes Programm zum Überleben. Angst ist lebensnotwendig. Und Du kannst trainieren mit Deinem Hund, um ihm Schritt für Schritt die Angst zu nehmen, und sein Vertrauen in die Welt zu vergrößern.
Lass uns gemeinsam Großartiges erreichen – beginne deine Reise
Eine Antwort
Ich habe einen Angsthund vor 6 Jahren aus Bulgarien aufgenommen.
Bis heute gibt es Dinge, die ihr riesen Ängste bereiten. Sie muss Schreckliches erlebt haben.
Ohne ihren großen „Kumpel“ Bootsmann, hätte sie es nie geschafft.
Bootsmann ist eine Dogge und natürlich sehr entspannt…jeder weiss, das große Hunde oft eine ganz sensible Seele haben.
Aus meiner Sicht ist diese Kombination perfekt.
Wir arbeiten noch heute täglich an ihren Ängsten.
Ich kann mich nur Deinem Bericht anschließen.
Ganz viel Zeit, keine Erwartungen, Empathie und einen sichereren eigenen Platz im Haus benötigen Angsthunde, um ihre Ängste zu minimieren, aber es lohnt sich.