Hintergrundstress-Was ist das?
Im letzten Blogbeitrag ging es um die Verhaltensanalyse. Die Verhaltensanalyse macht deutlich, dass nicht nur die Konsequenzen, die auf ein Verhalten folgen, dieses beeinflussen. Sondern auch sehr häufig etwas, das vor dem Verhalten passiert. Eines davon ist der sogenannte Hintergrundstress. Was das ist, und warum du darauf schauen solltest, erfährst du jetzt.
Was ist Hintergrundstress?
Hintergrundstress ist ein Stressor außerhalb der Situation des eigentlichen unerwünschten Verhaltens.
Hintergrundstress hat Einfluss auf die Verhaltensänderung:
Der Hund lernt langsamer und hat nur eine geringe Konzentrationsfähigkeit.
Rückfälle sind häufig.
Auch auf das problematische Verhalten an sich wirkt sich der Hintergrundstress aus:
Das Verhalten wird leichter ausgelöst, weil die Reaktionsschwelle niedrig ist.
Das Verhalten wird häufiger und stärker ausgelöst.
Hintergrundstress kann durch physikalische und soziale Reize ausgelöst werden. Unter physikalische Reize fallen Geräusche, optische Reize und Gerüche.
Beispiele für physikalische Reize:
Ein Hund mit Geräuschangst wird häufig lauten Geräuschen ausgesetzt, denen er nicht ausweichen kann. (Plötzliches Öffnen der Türen des Aufenthaltsraumes, lautes Zusammenklappen von Transportkisten)
Ein Jagdhund wird täglich in wildreichem Gebiet ausgeführt, darf dort aber kein Jagdverhalten zeigen. (Mischung aus sozial und physikalisch)
Beispiele für soziale Reize:
Ein Hund verkriecht sich immer, wenn der Mann am Fernseher Fußball schaut und dabei laut schreiend mitfiebert.
In einer Familie leben zwei Hunde, die sich nicht gut vertragen. Einer der beiden zieht immer den Kürzeren und wird vom anderen häufig drangsaliert.
Sozialer Hintergrundstress entsteht zum Beispiel auch durch die Anwendung von Strafe. Dabei muss es sich nicht um schmerzhafte Strafe handeln. Auch ein Wegschicken auf den Platz kann Frustration auslösen, was auf Dauer zu einem Hintergrundstress führen kann.
Wenn ein Hund nicht gerne alleine bleibt, aber viele Stunden täglich alleine gelassen wird, ist auch das eine Form von Hintergrundstress.
In der sozialen Interaktion mit unseren Hunden können wir ziemlich leicht etwas verändern und sollten das deshalb auch tun.
Je weniger Stress wir selbst auslösen, um so besser kann sich unser Hund verhalten in für ihn problematischen Situationen.
In diesem Satz sind zwei wichtige Erkenntnisse für die Bearbeitung von unerwünschtem Verhalten enthalten.
- sind es nicht selten die Bezugspersonen selbst, die das Verhalten in gewisser Weise auslösen.
- ist das unerwünschte Verhalten ein Zeichen dafür, dass der Hund mit der Situation ein Problem hat.
Wer das versteht, der weiß auch, wie wichtig es ist, wirklich neutral auf das Problem zu schauen. Wir sollten uns nicht persönlich beleidigt fühlen durch das Verhalten.
Oft haben wir typische, menschliche Vorstellungen von gutem Hundeverhalten, die der Hund aber in unserer Umwelt so nicht zeigen kann. Er ist nicht daran angepasst.
Da wir es sind, die den Hund in seine Umgebung bringen, sollten wir natürlich auch dafür sorgen, dass er lernt, mit der Umgebung zurecht zu kommen. Ihm also helfen, anstatt ihn zu bestrafen.
Stress reduzieren
Die Reduzierung von Stress im Leben des Hundes ist immer ein äußerst wichtiger Punkt im Verhaltenstraining. Und für viele Kunden immer noch wenig verständlich. „Ich stresse doch meinen Hund nicht!“
Nein, nicht mit Absicht. Aber vielleicht ohne es zu merken.
Manchmal geschieht das in Hundeschulen, die Dinge trainieren, die dem Hund so nicht gut tun.
Ich denke dabei gerade an einen Hund, der schon als 5 Wochen alter Welpe an der Kette war. Natürlich wurde er irgendwann gerettet und lebt jetzt bei netten Bezugspersonen. Er ist zu einem freundlichen, anschmiegsamen Rüden herangewachsen, der bereits viel gelernt hat. Allerdings hat er Probleme mit Hundebegegnungen. In der Hundeschule wird hin und wieder trainiert, dass die Hunde angebunden abgelegt werden, und sich die Halter entfernen.
Klingelt es bei dir?
Bei mir gehen da sofort die Alarmglocken an. Denn der Hund könnte das als ein Wiedererleben der Situation seiner Welpenzeit empfinden. Er wird emotional zurückgeworfen in die Zeit als Kettenhund.
Aber selbst für psychisch vollkommen gesunde Hunde finde ich es übertrieben, dass sie lernen sollen, überall, egal wo, zu bleiben ohne ihre Menschen. Stelle dir nur mal vor, dein Partner/Partnerin bindet dich am Laternenpfahl fest, weil er mal gerade einen trinken gehen will. Er/sie kommt ja gleich wieder. Das empfindet jeder als ein vollkommen unakzeptables, unsoziales Verhalten. Aber mit Hunden wird das selbstverständlich gemacht?
Solche Dinge sind es oft, die unbemerkt ablaufen. Natürlich könnte ein Hund lernen, dass er ruhig liegen bleibt und ihm nichts geschieht, auch wenn die Bezugsperson verschwindet. Ich persönlich würde das aber nicht trainieren, weil es so nicht nötig ist im Leben. Nie würde ich meinen Hund irgendwo anbinden und außer Sicht weggehen. In meinen Augen ist das unnötiger Stress.
Erwartungen herabsetzen
Ich wollte früher auch erreichen, dass mein Hund vor dem Bioladen auf mich warten kann, einfach so ohne Leine, stellte ich mir vor. Er sollte auf dem Gehsteig selbstständig laufen, während ich Fahrrad fahre auf der Straße. Er sollte super neben mir im „Fuß“ laufen können, und viel Spaß haben im Spiel mit anderen Hunden. Er sollte mitkönnen in die Stadt, und sich einfach irgendwo im Kleidungsladen hinlegen lassen, und dort auf mich warten, bis ich aus der Umkleide wieder heraus komme…
Vermutlich könnte ich diese Liste noch weiter führen, aber ich stoppe mal. NICHTS davon kann mein Hund. Na gut, bei mir gehen klappt schon, das ist so ähnlich wie „Fuß“. Und das ist auch das Einzige, das mir wirklich wichtig ist. Alles andere ist einfach für die meisten Hunde nicht machbar, und schon gar nicht alles in einer einzigen Hundepersönlichkeit.
Denn wie sind diese Wünsche entstanden? Ich habe Hunde gesehen, die das taten. „So will ich das auch machen mit meinem Hund“ oder „Das soll mein Hund auch lernen!“
Wie selten diese Gaben verteilt sind an Hunde habe ich nicht bemerkt. Ich hatte keine Ahnung davon, was ein Hund überhaupt ist.
Bedürfnisse erfüllen
Inzwischen stelle ich mir sehr viel häufiger die Frage, welche Bedürfnisse eigentlich mein Hund hat, als meine eigenen „Bedürfnisse“ in den Vordergrund zu stellen.
Das bedeutet nicht, dass ich völlig zurück stehen möchte, nur um meinem Hund jeden Wunsch von seinen schönen Augen abzulesen.
Aber überzogene Vorstellungen als solche zu erkennen ist ein guter Anfang. Bedürfnisse des Hundes zu entdecken führt weiter auf dem richtigen Weg. Und dann zu überlegen, was ist mir wirklich wichtig im Zusammenleben mit meinem Hund.
Was ist mir wirklich wichtig?
Nicht immer benötigen wir das, was der Nachbar benötigt. Oder die Verwandtschaft, die Freunde…. egal, andere Menschen. Wieso? Weil wir genauso verschieden sind wie Hunde verschieden sind.
Mir ist wichtig, dass ich meinen Hund frei laufen lassen kann, wo es möglich ist. Dafür brauche ich einen guten Rückruf, und den habe ich trainiert mit diversen Belohnungen.
Dann ist mir wichtig, nicht von den Füßen geholt zu werden, und habe intensiv an der Leinenführigkeit trainiert – mit Erfolg. Allerdings ist die Impulsivität von Grace manchmal noch stärker als ihre Impulskontrolle, und das liegt an ihrer Rasse. Es passiert nämlich vor allem, wenn Wild in unmittelbarer Nähe ist. Daran arbeiten wir also noch.
Ich muss sie aber auf keinen Fall vor dem Laden (egal wo) ablegen, wenn ich einkaufen gehen. Wozu? Sie wäre nicht der erste Hund, der gestohlen wird, oder der durch einen Schreckreiz oder einen Menschen, der keine Hunde mag in Angst kommt und flüchtet.
Das wäre es mir niemals wert. Lieber trainiere ich, dass sie sich im Auto wohl fühlt und dort auch mal eine halbe Stunde warten kann.
Mit der richtigen Auswahl an Übungen für deinen Hund kannst du Hintergrundstress also auch verringern.
Hintergrundstress immer im Auge haben
Ich finde es sinnvoll und wichtig, bei allen Verhalten des Hundes, die dich negativ überraschen, immer an den Hintergrundstress zu denken. Denn häufig grübeln wir vor uns hin, was in der Situation der Auslöser für ein Verhalten war. Dabei liegt der Auslöser außerhalb der Situation und ist eine indirekte Überforderung unseres Hundes.
Vergiss auch nicht, sogar die Dinge zu überprüfen, von denen du denkst, sie seien keine Schwierigkeit für deinen Hund. Ich nenne hier noch mal das Alleinebleiben. Denn die Dinge ändern sich auch mal. Vielleicht WAR es nicht schwierig, ist es aber geworden?
Ganz besonders häufig sehe ich auch Hintergrundstress in Mehrhunde-Haushalten. Nicht selten ist der Wunsch nach einem zweiten Hund ein sehr menschlicher… man hofft, dass der erste Hund einen „Spielkameraden“ bekommt, und ihm nicht so „langweilig“ ist. Die beiden Hunde sollen sich miteinander beschäftigen, damit man selbst entlastet wird.
Oft klappt das nicht wie gewünscht, und der Stressor eines neuen Familienmitglieds ist wesentlich höher als geplant. Schau also auch auf diese Dinge und regele sie.
Stress minimieren ist kein Heiteitei, sondern Arbeit an der Basis der Verhaltensänderung. Es geht nicht darum, jeglichen Stress von Hunden fernzuhalten, sondern darum, chronischen und vermeidbaren Stress zu vermeiden und zu minimieren.
Das ist häufig die Voraussetzung dafür, dass das weitere Training überhaupt ansetzen kann.
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3 Antworten
Vielen Dank f!ür diese ausführlchen Erläurterungen. So hbe ich das noch nicht gesehen.
Liebe Bettina
Deine Erläuterungen empfinde ich wieder sehr hilfreich und zielführend. Durch die bedürfnisorientierte Arbeit unter deiner Anleitung konnten wir mit unserem Vierbeiner zusammenwachsen und kommen auch einigermaßen entspannt durch die Junghundzeit! Danke!!
Vielen herzlichen Dank, liebe Renate!
Herzliche Grüße
Bettina