Schäm dich nicht!

Trick "Schäm dich"

Schäm dich nicht!

Ganz einfach?

Positives Training ist doch ganz einfach. Du belohnst deinen Hund für gutes Verhalten. Du verzichtest auf zugefügte Strafen. Und du stoppst unerwünschtes Verhalten fair und gewaltfrei. Das ist alles.

Wenn da nicht die vielen kleinen Fragen, Unterschiede und diverse Situationen wären. (Mal ganz abgesehen von tieferem Verständnis, Wissen und Fertigkeiten.)

Wie definierst du gewaltfrei? Was für ein Typ Mensch bist du, welche Art von Persönlichkeit hast du? Wie sieht dein Umfeld aus? Lebst du entspannt oder im Dauerstress?

Aber auch: Was für ein Typ Hund ist dein Hund? Lebt er bei dir in einem für ihn geeigneten Umfeld?

Persönlichkeit von Mensch und Tier

Jeder einzelne Mensch hat seine eigenen kleinen und großen Herausforderungen. Wir alle haben bestimmte  Glaubensmuster, innere Regeln und Einstellungen zum Leben, die mit hineinspielen in das Gesamtbild.

Viele meiner Kunden sind tatsächlich sehr entspannt mit ihrem Hund. Das meine ich jetzt positiv. Nur einmal hatte ich einen jungen Kunden, der über seinen Hund sagte: “Der darf alles!“ als ich versuchte, meine Trainingsgrundlagen zu vermitteln. Wir haben natürlich nicht lange miteinander trainiert…

Man kann es also offenbar auch übertreiben mit der Nachsicht. „Alles dürfen“ geht einfach nicht, denn niemand von uns ist alleine auf der Erde, und das ist gut so.

Es gibt Regeln für das Zusammenleben. Nur legt jeder die Regeln auch mal persönlich aus.

Schwarz-Weiß? Nein, bunt!

Es gibt sehr vorsichtige Menschen, die niemandem schaden wollen, oder sogar viel an andere denken, und deshalb ständig Rücksicht nehmen. Es gibt Menschen, die hauptsächlich den eigenen Vorteil suchen, oder zumindest ihrem Hund viel Freiraum ermöglichen, auch wenn andere das als „zu viel“ bezeichnen würden. (Man denke nur an die vielen „Der tut nix“ -Hunde, die frei laufen dürfen, obwohl sie dabei andere Hundehalter und ihre Hunde belästigen).

Und dazwischen gibt es jede Menge Variationen.

Bei den Hunden sieht es genauso aus: Da gibt es den Typ „Ich mache alles für dich, sag einfach, was du willst!“ und den Typ: „Ich bin der Nabel der Welt, und ich werde meine Bedürfnisse erfüllen, komme was da wolle!“ Die meisten Hunde befinden sich irgendwo in er Mitte dazwischen.

Das Leben miteinander ist also vielfältig. Darum gibt es auch so viele erstaunliche Reaktionen. Was mich erstaunt, ist für andere normal. Und umgekehrt.

Wir urteilen durch unsere Brille

Wenn wir also andere nach ihrem Umgang mit dem Hund beurteilen, so urteilen wir aus unserem Blickwinkel. Was für mich gewaltfrei ist, bedeutet für andere vielleicht ein „NoGo“.

Was ich für Ansprüche an mich habe, ist für andere vielleicht völlig übertrieben, und wird als „egoistisch“ betitelt. Obwohl mein Handeln für mich ganz klar auf Verantwortungsbewusstsein und Rücksichtnahme anderen Menschen gegenüber basierte.

Dass wir überhaupt urteilen, liegt auch in unserer Natur. Es ist früher biologisch wertvoll gewesen für das Überleben, dass man ganz klare Vorstellungen hatte von „gefährlich“ und „ungefährlich“. Dafür musste man beurteilen.

Heute schadet es oft mehr als es nutzt. Reflektiertes Beobachten, Nachdenken und für sich selbst eigene Schlüsse ziehen gehören nicht zu den üblichen Handlungen. Statt dessen wird schnell ver-urteilt. Ich sehe was, was mir nicht gefällt, und sage allen, wie blöd ich das finde. Ich nehme mich da gar nicht aus.

Dann sind wir im Gegenzug oft auch streng mit uns selbst. Solange keiner zuschaut, ist es ja ok, dass der Hund dieses oder jenes tut. Da kann man gelassen reagieren, kann daran trainieren, und mit positivem Training kommt man schnell weiter.

Scham führt zu anderem Verhalten

Jetzt ist man aber in einer Situation, wo andere Menschen zuschauen. Wer zu den vorsichtigen Menschen gehört, die niemandem schaden wollen, wird seinen Hund zumindest schimpfen, wenn der zum Beispiel im Gasthaus die Nase auf den Tisch legt. „Hey, das gibt es nicht! Weder zu Hause noch hier!!“ höre ich mich dann streng sagen, und sorge dafür, dass die Nase SOFORT vom Tisch kommt. Warum?

Ganz klar: Zu Hause kommt das erstens wirklich kaum vor, und wenn, dann sage ich ganz entspannt: „Nase vom Tisch“ und markiere und lobe den größeren Abstand.

Aber vor Leuten? Ich würde mich schämen. Mein Hund ist nicht erzogen. Wie sieht das denn aus? Was sollen die glauben, wie wir zu Hause leben? Dass der Hund uns auf dem Tisch herumtanzt?

Anderes Beispiel:

Wir verlassen den Biergarten. (Übrigens nüchtern. Es gab alkoholfreies Bier.) Am Wegesrand wartet ein Hundehalter mit seinem kleinen Hund. Dieser ist äußerst entspannt, kann Grace anschauen, ohne zu bellen oder sich aufzuregen. Grace kann das nicht. Sie starrt ihn an, und beginnt sich aufzuregen, springt in die Leine und holt mich fast von den Füßen. Ich beginne ganz normal, versuche sie anzusprechen, ihr Futter anzubieten, markiere die Bellpause, füttere wieder. Super, Grace kann einige Sekunden ruhig schauen. Ich will nun weiter gehen. Wieder springt sie in die Leine und bellt, ich falle beinahe über sie. Langsam werde ich wütend, aber ich reiße mich zusammen. Noch einmal ganz freundlich reagieren, gutes Verhalten markieren, Futter anbieten… und wieder den Versuch des Weitergehens machen. Ich will aus der Situation weg und nach Hause.

Grace springt so in die Leine, dass ich sie kaum halten kann. Jetzt passiert es: Ich ziehe sie (nein, geruckt habe ich da auch nicht!) zurück und bewege ihr Hinterteil mit meiner Hand etwas unsanft in die richtige Gehrichtung, um sie körperlich am wieder Einspringen zu hindern.

Mir war ihr Verhalten unglaublich peinlich. Während der kleine Hund so seelenruhig dastehen konnte, sich sogar umgedreht hat, um zu deeskalieren, führt sich Grace so auf. Unmöglich! Meinem Hund körperlich fast nicht gewachsen zu sein, ist ein großer Stressor für mich. Ganz zu schweigen vom nicht vorhandenem Gehorsam.

Reflektieren und trainieren

Natürlich reflektiere ich solche Erlebnisse. Ich wusste ja, dass dieses Wochenende für Grace zwar sehr schön war, aber auch anstrengend. Sie hatte zu wenig Schlaf, und dafür sehr viele Eindrücke. Klar, dass sie dann nicht optimal reagieren kann.

Nur: Mir ging es ja nicht anders! Ich war jetzt auch müde, und wir wollten einfach zum Auto gehen und nach Hause fahren. Beide, Grace und ich, konnten nicht optimal reagieren.

Genau wie mein Hund kann auch ich lernen, besser mit solchen Situationen umzugehen. Nein, ich habe auch jetzt, wo ich darüber schreibe, keine Idee, wie ich besser hätte reagieren können. Ohne Zug wäre sie nicht mitgegangen, und sie hatte so ein Talent, sich genau vor meine Füße  zu werfen, dass ich keine Chance hatte, sie ohne körperliche Maßnahme „im Griff“ zu behalten. (Ich hasse diesen Ausdruck, und nutze ihn nur, weil an dieser Stelle nichts anderes möglich war.)

Es mag sein, dass ich mit noch mehr zeitlicher Ausdauer erfolgreich gewesen wäre. Schauen lassen. Stehen bleiben, markieren & belohnen, schauen lassen. So lange, bis sie keine Lust mehr hat. Ob sie Leckerchen genommen hätte, weiß ich nicht, sie nimmt mal eins, dann wieder frisst sie sie nicht, auch in der gleichen Situation. Vielleicht hätte sie Kontakt gewollt, aber das wäre sicher auch keine gute Idee gewesen, nach diesen anstrengend-schönen Tagen. Gerade kleine Hunde sind in Verbindung mit Stress manchmal in ihren Augen Jagdbeute.

Aber ich weiß jetzt, dass ich mit anderen Hunden noch Trainingsbedarf habe. Hier können wir stundenlang laufen, ohne einem anderen Hund zu begegnen. Es ist gar nicht leicht, Hundekontakte zu üben.

Ebenso das „Nase vom Tisch“-Problem. Im normalen Alltag macht Grace das überhaupt nicht bei uns zu Hause. Höchstens dann, wenn es etwas sehr Ungewöhnliches zu Essen gibt.

Trainingssituationen gezielt herstellen

Vielleicht sollte ich es mal ganz gezielt üben! Ich könnte superleckere Wurst oder duftenden Leberkäs kaufen, und nah an den Rand des Tisches legen. Für „die Nase ist 5 cm vor der Tischkante“ kommt der Marker. So ähnlich wie beim Barrieremarkern.

Situationen stellen um daran zu trainieren. Diese Mühe mache ich mir bisher so gut wie gar nicht. Überhaupt stelle ich fest: Ich bin ganz schön nachlässig geworden. So richtig gezielt an etwas trainieren? Fehlanzeige. Ich trainiere schon, einfach im Tagesgeschehen. Beim Spaziergang. Wenn jemand klingelt. Wenn die Post kommt. Wenn die Katze im Garten ist. Also immer nur IN den Situationen, wenn es schon abläuft.

Viel besser kann Training wirken, wenn wir eine Situation stellen, die wir selbst beeinflussen können.

  • Ich kann die duftenden Speisen auf dem Tisch in weniger stark duftende auswechseln, wenn es zu schwierig ist für Grace.
  • Ich kann den mir helfenden Hundehalter bitten, etwas weg zu gehen mit dem Hund, damit Grace gutes Verhalten zeigen kann.

Auch die Signale, die draußen (noch) nicht klappen, kann ich im Haus aufbauen. Es sind alles genau die Dinge, die ich meinen Kunden in jeder Stunde erkläre. Nur selber machen ist offenbar schwierig.

Macht es Mühe? Ja, definitiv. Es geht nicht „einfach so“, sondern ich kann und muss vorher nachdenken, einen Plan machen, einzelne Trainingsschritte aufschreiben, Sachen oder Helfer organisieren und am besten auch noch das Training dokumentieren. Das ist ohne Mühe nicht machbar. Aber es lohnt sich.

Aufruf zu mehr Toleranz

Wir sollten täglich üben, andere nicht zu beurteilen, und uns immer an die eigene Nase fassen. Denn nicht selten sind wir nur deswegen so streng mit anderen, weil wir an der Stelle einen Trigger bei uns selbst haben.

Mehr Toleranz sich selbst gegenüber gehört aber auch dazu. Sich nicht schämen, weil jetzt gerade Leute zuschauen, die irgendwas über mich und meinen Hund denken können. Lass sie doch!

Wir wissen, dass jeder seinen ureigenen Weg geht. Dort wo ich gerade stehe, versuche ich mein Bestes. Wenn ich noch nicht so weit bin, Trainingssituationen gezielt zu stellen und geplant zu trainieren, dann ist das erst mal so. Dann bin ich auf meinem Weg vielleicht woanders gegangen als jemand, der das längst tut.

Wir trainieren mit dem Hund, nicht gegen ihn. Und wir sollten auch mit uns, unseren Kunden und mit anderen Hundehaltern trainieren, anstatt gegen sie. Warum?

Aus dem gleichen Grund, aus dem wir mit dem Hund trainieren. Wir bekommen viel mehr Motivation, wenn es freiwillig geschieht. Das neue Verhalten kann schneller gelernt werden, wenn die inneren Widerstände verschwunden sind oder nicht auftauchen. Und letztendlich können wir alle nur uns selbst ändern.

Mut zum nicht Schämen – Mut zum Trainieren

Es wird Menschen geben, die mich nicht verstehen, wenn ich zum „nicht Schämen“ aufrufe. Die haben es auch nicht nötig, denn sie reagieren gelassen, auch wenn andere zusehen.

Die anderen werden mich verstehen, und sich angesprochen fühlen. Diesen Menschen und mir selbst rufe ich jetzt zu: „Hab Mut! Bleibe nett mit deinem Hund, reagiere nicht anders als du es zu Hause auch machst.“

Denn unsere Hunde danken es uns, wenn wir selbst gelassen bleiben. Ich sorge seit kurzem für genug Zeit, um ruhig und gelassen zu reagieren. Und ich werde Situationen stellen, um die Probleme zu bearbeiten, an denen ich in den Situationen selbst überfordert war. 

Und wenn trotz all dieser Mühen und all des Trainings in manchen Situationen das Verhalten meines Hundes „unmöglich“ ist, werde ich versuchen zu lachen. Ist es denn nicht urkomisch, wenn man es mal von außen betrachtet?

Humor ist die beste Medizin

Wer über sich selbst lachen kann, nimmt sich nicht mehr ganz so ernst. Lachen lockert alles auf, die Muskeln, das Innere… Hast du schon mal lachen müssen, obwohl du gerade total angespannt warst? Da bekommt man oft keine Luft mehr, die Tränen kullern herunter, das Zwerchfell tut weh…so sehr muss man lachen, weil der Körper merkt, wie gut es tut.

Danach fühlt man sich wie frisch geduscht, oder wie nach einem reinigenden Frühlingsregen. Die inneren Verkrampfungen lassen nach, man bekommt plötzlich neue Ideen, Motivationen, Lust…

Schließlich können wir doch ganz beruhigt sein: Wir trainieren so gut wir können an den Problemen. Mehr geht nicht. Was dann nicht klappt, sorgt für ein herzliches Lachen.

Sich kontrollieren lassen

Es sei denn, wir erklimmen eine neue Stufe, sind bereit für den nächsten Schritt. Bei mir ist es gerade passiert. Ich habe ENDLICH Trainingsstunden gebucht für mich und Grace.

Meine Kollegin Claudia Scheiblich trainiert mich über Skype, weil wir nicht in erreichbarer Nähe  zueinander wohnen. Das geht wunderbar. Hier findest du ihre Facebookseite: DogSchoolBuddies

Ich habe bereits in der ersten Stunde viele Impulse bekommen. Es sind genau die Dinge, die ich meinen Kunden auch immer sage. Nur bei mir selber hapert es… Der Anstoß, mein eigenes Training unter die Lupe zu nehmen, war nötig.

Claudia ist genau richtig für mich: Sie lacht fast nur. Sie hat mit ihrem Hund eine Engelsgeduld. Und sie trainiert sowas von positiv, mehr geht nicht. Und das richtig gut.

Ich lege das jedem ans Herz. Lass dich kontrollieren! Wir sind selbst oft zu tief drin in den Problemen. Wir sind nicht objektiv. Wir haben so viele Gewohnheiten. Und die „Mama-Brille“ auf bei unserem eigenen Hund.

Wenn wir jemanden drüber schauen lassen, sieht derjenige mit anderen Augen hin. Was für mich „so mache ich es immer“ ist, sieht Claudi mit ihren Augen ganz anders.

Ja, auch Trainer*innen brauchen immer wieder Impulse und Inspirationen. Nicht nur für die eigene Kreativität, sondern auch für die Trainingstechnik, die Feinheiten, die Perfektion. Darum rate ich jedem dazu: auch wenn die Junghundekurse längst abgeschlossen sind, lernen kannst du immer was. Dein Hund lernt sowieso sein Leben lang.

Es gibt mittlerweile ein riesiges Netz von positiven Trainern. Nutze die Möglichkeit von gutem Training. Bleibe gelassen und lache möglichst viel. Genieße dein Leben mit Hund in vollen Zügen. (Nee, ich meine nicht die Deutsche Bahn!)

Und höre auf, dich zu schämen!

 

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Über die Autorin Bettina Haas

Bettina Haas, Hundetrainerin aus Leidenschaft, zeigt dir, wie du zum besten Freund und Trainer für deinen Hund wirst. Damit du schnell und nachhaltig zum Erfolg kommst und dein Leben mit Hund (wieder) richtig genießen kannst!

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